Die Deutsche Frage III – Zwischen Annäherung und Krise 1969-1989

Geschichte interaktiv 9

Die Erläuterungen sind verständlich und sachliche/historische Zusammenhänge werden für Schüler einprägsam erklärt. – Dieser Film enthält wieder eine gewaltige Portion an guten, anschaulichen Beispielen.


Die folgende Rezension bezieht sich auf die Erstveröffentlichung der Filme auf der DVD Die Deutsche Frage III – Zwischen Annäherung und Krise 1969-1989.

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Das Auf und Ab des Kalten Krieges


Der Kalte Krieg war kalt, weil es keinen zentralen Krieg gab, in dem sich die beteiligten Mächte direkt gegenüberstanden. Und doch prallten zwischen 1945 und 1990 die Interessen der beiden großen Supermächte USA und UdSSR immer wieder aufeinander. Im Krieg der Ideologien blieb es an der "Front" Europa verhältnismäßig friedlich. Dennoch war der Kalte Krieg ein globaler Konflikt, in dem es immer wieder heikle Momente gab, die zu einem Dritten Weltkrieg hätten führen können. Die Zeit war einerseits geprägt von gegenseitigen Bedrohungen, Wettrüsten und ideologisch beeinflussten Stellvertreterkriegen (Korea, Vietnam) und andererseits von fortwährenden Versuchen der Verständigung und Beschwichtigung: Konfrontation, bis eine Seite aus Angst vor den Folgen zur Annäherung überging. Der neueste, neunte Band der Reihe "Geschichte interaktiv", "Die Deutsche Frage III" erzählt von den letzten zwanzig Jahren des Ost-West-Konfliktes und von der Rolle, die er für die Deutschen spielte. Deutschland war 28 Jahre durch die Mauer geteilt, Nahtstelle zwischen den Machtblöcken und als solche auch ständig von kriegerischen Auseinandersetzungen bedroht.

 

Der Hauptfilm der DVD-ROM macht diese Wirkungen deutlich. Er leitet ein mit der Ostpolitik Willy Brandts. Eine grandiose Fortsetzung des 8. Bandes, der fast schon nach diesem Kapitel des Kalten Krieges schrie. Durch die Ostverträge, die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze und den Kniefall von Warschau machte sich Brandt im Ausland einen Namen. Im Inland machte er sich damit nicht nur Freunde. Es wird sehr gut herausgestellt, dass Brandt eine Schlüsselrolle in der Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern im Osten hatte und aufgrund seiner eigenen Biografie ein prädestinierter Vertreter der erstarkten Demokratie in der BRD war. 


Auf Initiative des Warschauer Paktes wird die KSZE (heute OSZE) geschaffen, die inmitten des Kalten Krieges über Sicherheitsfragen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten referierte. Der Hauptfilm zeigt sehr schön auf, wie Honecker sich und die DDR in Szene setzte und die Anerkennung der DDR erreichte. 1973 schien es noch so, als hätte der Ostblock durch die KSZE gewonnen. Doch die von ihm zugesicherten Menschenrechtsbesserungen sind aus heutiger Sicht ein Faktor des Falls des Eisernen Vorhanges gewesen. Auch wenn der Osten dafür schwarz auf weiß die Anerkennung der Nachkriegsordnung und verstärkten wirtschaftlichen Austausch hatte, die sich positiv auf die "Mangelgesellschaft" der Warschauer Pakt-Staaten auswirkte. 


Auf diese kurze Phase der Entspannung folgte ein Rückfall in den Kalten Krieg. Die USA und die Sowjetunion maßen ihre Kräfte in blutigen Stellvertreterkriegen wie im Vietnamkrieg, der 1975 endgültig eskalierte und in Afghanistan 1980. Hinzu kamen unglaubliche Aufrüstungsmaßnahmen, mit denen sich die UdSSR letztlich zu Tode rüstete. Besonders US-Präsident Reagan spielte mit den Muskeln und forderte die Warschauer Pakt-Staaten, im Bewusstsein, ihn zu gewinnen, zu einem neuen Rüstungswettstreit heraus. Erst als Gorbatschow an die Macht gelang, erkannte man auch im Westen, dass man nun mit der Sowjetunion verhandeln und reden könne. Glasnost und Perestroika (Offenheit und Reformierung) ebneten den Weg für Lockerungen durch eine transparentere Politik und eine gewisse Demokratisierung. Diese lobenswerte Reformierung besiegelte gleichermaßen das Ende seiner politischen Laufbahn. Er sollte Insolvenzverwalter einer längst maroden Diktatur werden und hat erheblich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen. Im kommenden Band wird auch auf seine Rolle in Bezug auf die Wiedervereinigung einzugehen sein. 


Nach dem Kapitel "KSZE" weicht die Dokumentation leicht vom Blickpunkt Deutschland ab. Dies ist aber logisch nachvollziehbar. Es wurde so der historische Kontext als "Rahmenhandlung" eingefügt. Dieser erklärt die Umstände, die insbesondere Deutschland betroffen und zum Ende der "Bipolarität der Welt" geführt haben. Die Module sind im Vergleich zu den Modulen der ersten Bände mehr vom Hauptfilm losgelöst und mehr eigene Filmsequenzen für sich geworden. Die Module sind so separat vorstellbar und beleuchten - hier sehr gelungen - einzelne Teilaspekte des Gesamtzusammenhangs. 


"Deutsch-deutsche Begegnungen" ist der Titel des ersten Moduls, das den Wandel durch Annäherung der 70er Jahre, den Besuch Honeckers in Bonn und die 750-Jahrfeiern in Berlin beleuchtet. Besonders das Kapitel zu dem Besuch Honeckers zeigt, dass man selbst 1987 nicht mehr mit einer baldigen Wiedervereinigung rechnete. Die Aufnahmen von 750-Jahr-Feiern in Berlin sind beeindruckend. Sie zeigen die pompösen Feierlichkeiten im Osten im Stil des Sozialismus und im Westen die Reden des Bundeskanzlers Kohl und des US-Präsidenten Reagan vor der Berliner Mauer. Reagan wandte sich in seiner Rede persönlich an den Kreml-Chef: "Mr. Gorbatschow, open this gate". Beeindruckend, wie viele Menschen aus dem Osten an die Mauer kamen, um sich diese Reden anzuhören. Ein mickriger Fehler hat sich hier allerdings eingeschlichen: Aus Versehen wurde "auf dem Weg ins 20. Jahrhundert" gesagt. Es war natürlich das 21. Jh. gemeint. 


Das folgende Modul befasst sich mit der "Wirtschaft im Umbruch" in den 1970er Jahren. Im Westen klang das Wirtschaftswunder ab und es gibt erstmals wieder Arbeitslosigkeit. Die Überflussgesellschaft gibt es nicht mehr. Die Ölkrise 1973, der Niedergang des deutschen Bergbaus, sowie der Gang hin zur Dienstleistungsgesellschaft, ihre Ursachen und Folgen werden wunderbar herausgearbeitet. Im Osten geht es leicht aufwärts. Das Konsumangebot weitet sich aus, es gibt für jeden günstige Wohnungen. Soziale Programme dienen der Steigerung des Wohlstandes der Bevölkerung, bieten der Bevölkerung der DDR etwas. Sie, steigende Kreditkosten und mangelnde Exporte führen zu Löchern in der Staatskasse, sodass sich die DDR verschuldet. Sie kann sich nur durch Kredite durch die BRD vor der Insolvenz retten. Trotz besseren Konsumangebotes blieb der Mangel, der ein Grund für den Untergang der sozialistischen Herrschaft in Osteuropa darstellte. 


Die folgenden Module 3 - 6 zielen direkt auf gesellschaftliche Wandlungen. Das dritte Modul greift die 68er-Bewegung und deren Wirkungen in die Zukunft auf. 


Sehr schön wird die Entwicklung der 68er-Generation gezeigt. Wie konnte es dazu kommen, dass die jungen Menschen, insbesondere die Studenten, gegen die Welt ihrer Eltern und Großeltern aufstanden? Aus der Gesellschaft der Volkstümlichkeit und der Heimatfilme ging Rebellion hervor. Man forderte die Aufklärung der deutschen Nazi-Vergangenheit und wandte sich gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition unter Kiesinger und gegen den blutigen Vietnamkrieg. Aus einer friedlichen Studentenbewegung wurde politischer Kampf. Sehr gut, kurz und prägnant geschildert. Anne Roerkohl dokumentARfilm hat weitergedacht und den RAF-Terrorismus als Folge der 68er-Bewegung beleuchtet. 


Die Gesellschaft im Westen ist, so zeigt es das 4. Modul, großen Veränderungen unterworfen. Festgefügte Rollenbilder, idyllische Bilder von Musterfamilien und Frauen als Hausfrauen oder Sexobjekte. Dies haben die Frauen seit den 1970er Jahren nicht mehr wehrlos hingenommen. Auch die Selbstbestimmung der Frau wird durch den Kampf gegen den § 218 StGB (Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches) gestärkt. Durch die Musik, durch Rock, Punk und die Hippie-Bewegung schafft sich die Jugend neue Freiräume. Freiräume, die die Menschen im Osten nur eingeschränkt haben. In der DDR gab es militärische Übungen für Studenten. Bereits Kinder wurden militarisiert. Die Staatssicherheit wehrte sich gegen jede Form des Aufruhrs und des Protestes. Die Ideologie bestimmte den Alltag. Wer sich, wie Punks, der Fremdbestimmung entziehen will, wird beobachtet. 


Im Osten ist die Mehrheit der Frauen berufstätig. Dennoch verdienten sie weniger als ihre männlichen Kollegen. Neben dem Beruf blieb auch die Hausarbeit nach dem alten Rollenverständnis der Frau überlassen. Eine Doppelbelastung, die auch staatliche Förderprogramme nicht gut abmilderten. Der eindeutige Bezug zur Frau in diesem Modul ist für das Verständnis der Emanzipation bei Jugendlichen Gold wert. 


Die Umweltbewegung wird im fünften Modul thematisiert. Am Beispiel der Gemeinden Wyhl und Brokdorf wird gezeigt, wie die Menschen sich in den 70er Jahren gegen den Bau von Atomkraftwerken in der Region wehrten. Nach der Ölkrise versuchte man mithilfe der Atomkraft neue Energiequellen zu gewinnen. Demonstrationen und Bürgerinitiativen gehen auf die Barrikaden und erzielen teilweise Gewinne. Den Bau des AKW in Brokdorf konnten sie dennoch nicht verhindern. Erst 1986, nach Tschernobyl wurde seitens der Politik erstmals wieder ein möglicher Atomausstieg diskutiert. Auch gegen zunehmende Umweltverschmutzung wurde mobil gemacht. Hier fehlt trotz guter Beispiele ein Hinweis auf die Entstehung der Partei "Die Grünen". Ein solcher Hinweis kommt erst im sechsten Modul zur Friedensbewegung. Im Osten gestaltete sich die Umweltbewegung zu einem Eckpfeiler der Wende. Umweltschützer gründen 1986 in Ost-Berlin die Umweltbibliothek. Diese fand 1986 unter dem Schutz von Pfarrer Simon im Keller der Zionskirchgemeinde in Berlin Prenzlauer Berg geeignete Räume. Die Umweltbibliotheks-Galerie war ein Ausstellungsraum, in dem Gemälde und Plastiken staatlich unterdrückter Künstler zugänglich gemacht wurden. In den gleichen Räumen fanden auch Vorträge, Videovorführungen und Konzerte statt. Die halblegale Zeitschrift "Umweltblätter" wurde bis 1989 das bedeutendste und verbreitetste Informationsblatt der DDR-Opposition. Nachdem es dort 1987 eine Razzia der Volkspolizei und der Stasi gegeben hatte und die Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" darüber berichtete, kam es in der gesamten DDR zu Mahnwachen für die zu Unrecht verhafteten Aktivisten. Dieser kleine Flächenbrand zeigte, dass sich durch eine Negativschlagzeile bereits großer Protest der Bevölkerung regen konnte. Ein Vorspiel für Montagsdemos, Mauerfall und Wende. Die Macher der DVD-ROM haben hier wieder ein sehr vortreffliches Beispiel gewählt und die Zusammenhänge sehr gut erläutert. 


Das Modul 6 als letztes Filmmodul geht auf die Friedensbewegung ein. Der Warschauer Pakt rüstet auf. Die Nato-Staaten bringen den Nato-Doppelbeschluss auf den Weg. Er bot Verhandlungen zu Abrüstung an und kündigte gleichermaßen eine neue Aufrüstung mit Pershing II - Raketen in Westeuropa an, sollten die Verhandlungen ergebnislos verlaufen. Die Reaktionen waren deutlich. In Deutschland rief er lauten Protest der Friedensbewegung hervor. Die deutschen wollten nicht das Zentrum des Fadenkreuzes der Supermächte sein. Erste Raketen werden nach Annahme des Beschlusses in Mutlangen stationiert. Die Friedensbewegung blockierte hier die Raketenbasis. Der Großteil der Bevölkerung reagierte auf die Friedensaktivisten mit Ignoranz. Im Osten dagegen wurde die Friedensbewegung, besonders durch den Olof-Palme-Friedensmarsch, zu einem Massenereignis, der im Zusammenhang mit dem späteren Überfall auf die Umweltbibliothek steht. Keiner wollte mehr wegsehen. Auch die Friedensbewegung in der DDR ("Schwerter zu Pflugscharen" u.a.) bildete einen Meilenstein dessen, was sich später in der Zeit der Wende vollzog. Dies hebt die DVD sehr treffend hervor. 


Wie inzwischen bewährt, gibt es im neunten Band von "Geschichte interaktiv" auch wieder die Medienanalyse, die besonders im Schulunterricht Schülern die Möglichkeit bieten, Medien (Filmbeiträge, Interviews etc.) selbst zu bewerten. In diesem Band werden zwei Wochenschaubeiträge aus Ost und West zum Treffen von Willy Brandt und dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph in Erfurt (März 1970) gegenüber gestellt. Hier zeigt sich, wie unterschiedlich der Besuch in Ost und West in den Medien dargestellt wurde. In der Ost-Wochenschau wird der Sachverhalt so dargestellt, als sei die Bundesrepublik nicht ernsthaft an Verhandlungen zu den deutsch-deutschen Beziehungen interessiert. Gegensätze werden verstärkt betont. Die Medienanalyse bietet ein breites Diskussions-Spektrum. Anne Roehrkohl und ihre Mitarbeiter haben dies sehr gut ausgewählt. Man kann dieses Modul einfach nur als sehr nützlich bezeichnen. 


Auch der DVD-ROM-Teil mit seinem didaktischen Begleitmaterial ist bei dieser Ausgabe der Reihe "Geschichte interaktiv" wieder mit dabei. Zu dem Hauptfilm und jedem Modul findet man Arbeitsblätter und Übersichten sowie Methodenkarten zum Erlernen von methodischen Fachkompetenzen. Darüber hinaus werden in zwei separaten Teilen Biografien von den in den Filmen zu sehenden Zeitzeugen und historischer Persönlichkeiten jener Zeit mitgeliefert. Klaus Fieberg (Verband der Geschichtslehrer Deutschland, "Horizonte") hat dabei Unterrichtsmaterialien zur Erarbeitung, Festigung und Vertiefung mit den hierzu passenden Fragestellungen entwickelt und für Lehrkräfte begleitende didaktisch-methodische Kommentare angefügt. Da Geschichte nicht ganz ohne Daten auskommt, ist sogar eine kleine nützliche Zeitleiste enthalten. Für weitere Informationen kann man einen Blick in das Literatur- und Linkverzeichnis werfen. Eine sehr schöne Lösung für Lehrkräfte und Schüler gleichermaßen. 


Die DVD enthält wieder eine gewaltige Portion an guten, anschaulichen Beispielen. Die Erläuterungen sind verständlich und sachliche/historische Zusammenhänge werden für Schüler einprägsam erklärt. Bilder und Animationen (beispielsweise sehr gut eingesetzt am Beispiel der Vertreibung von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten 1945) führen zu einer noch besseren Verständlichkeit des Angesprochenen. Renommierte Historiker wie Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk (BstU), Prof. Dr. Edgar Wolfrum und Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer, sowie Zeitzeugenberichte von Egon Bahr und Günter Schabowski (u.a.) unterstreichen das Ganze noch einmal. Man erhält einen Rundumschlag aus erster Hand. Filmbeiträge wurden abermals - so macht es auf Anhieb den Anschein - sehr sorgfältig ausgewählt. Unglaublich, dass diese DVD-ROM von einer Handvoll Menschen in relativ geringer Zeit entsteht. Diese DVD-ROM schreit nach einem Band 10 zur Zeit der Wende, auf den man sich nach Auskunft der Anne Roehrkohl dokumentARfilm GmbH jetzt schon freuen darf. 


Martin Knust 

PSM-Data / HistoriaPRO 


http://www.zum.de/psm/empf/psm_dtfrage3.php (02.09.2008)

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