Literatur des 20. Jahrhunderts I – Zwischen Expressionismus und Exil 1910-1945
Deutsch interaktiv 5
Ein für den modernen Deutsch-Unterricht uneingeschränkt empfehlenswertes Produkt. – Schülerinnen und Schüler erhalten einen guten Einblick, der letztlich auch zum eigenständigen Lesen anregt.
Die folgenden Rezensionen beziehen sich auf die Erstveröffentlichung der Filme auf der DVD Literatur des 20. Jahrhunderts I – Zwischen Expressionismus und Exil 1910-1945.
Es ist kein leichtes Vorhaben, Literatur und ihre Kontexte zwischen Expressionismus und Exil (1910-1945) für Schülerinnen und Schüler angemessen aufzubereiten.
Den ‚Macherinnen‘ der DVD Literatur des 20. Jahrhunderts I gelingt es in ihrem rund 28-minütigen Hauptfilm Kaiserreich, Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus als eine Zeit der Extreme zu vermitteln. Aus dem Geschichtsunterricht bekannte Zusammenhänge werden anschaulich und pointiert in Erinnerung gerufen sowie durch Expertenmeinungen, darunter der Literaturdidaktiker Prof. Dr. Hermann Korte, Universität Siegen, vertieft. Zudem werden den Schülerinnen und Schülern häufig weniger bewusste kulturhistorische Gegebenheiten (insbesondere der Weimarer Republik) beleuchtet, so dass die Zeit des inter bellum in ihrer inneren Vielgestaltigkeit – z.B. Aufkommen der Massenkultur, Wahrnehmung der ‚Neuen Frau‘, Verhältnis der Metropole Berlin zur Provinz, Kino und Kinokultur, amerikanischer Kulturimport, Wirtschaftskrise etc. – profiliert werden kann.
Die sich anschließenden Module nehmen die Lyrik des Expressionismus und Dadaismus, Bertolt Brecht und Exilliteratur, Franz Kafka (hier insbesondere DieVerwandlung) und Alfred Döblins Alexanderplatz sowie den literarischen Markt in den Blick. Diese didaktisch nachvollziehbaren Schwerpunktsetzungen werden vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse der Literatur- und Kulturwissenschaften entfaltet, ohne je der Gefahr einer Abbilddidaktik anheimzufallen. Vielmehr ist die gelungene Verbindung von fachwissenschaftlichen Stellungnahmen, so z.B. von Prof. Dr. Bettina von Jagow, u.a. Mitherausgeberin des Kafka-Handbuches (2008), Zeitzeugen, Originaldokumenten, Filmen und Verfilmungen, Rezitationen und Performances von Gedichten, bildender Kunst und Architektur positiv hervorzuheben. Literatur wird so in ihre Kontexte eingebunden wie es mit Hilfe von Schulbüchern kaum möglich ist. Darüber hinaus werden alte Vorurteile und Mythen, die sich beispielsweise um das Werk Kafkas ranken, begründet widerlegt, so dass sein Oeuvre jenseits biographischer Deutungshorizonte als Faszinosum intertextueller Resonanzräume (in einem weiten Sinne) entdeckt werden kann.
Ein mit Blick auf die Textauswahl überzeugender Längsschnitt zu dem Thema Apokalypse ermöglicht darüber hinaus einen konzeptuell angelegten Deutschunterricht, der eines der zentralen Themen der Zeit von 1910-1945 in einen Dialog mit anderen Epochen treten lässt. Das didaktische Begleitmaterial sowie die Ton- und Bilddokumente der zweiten DVD Impulse erlauben eine gezielte Vertiefung auszuwählender Aspekte und eine Integration des Materials in Unterrichtsstunden, die sich nicht ausschließlich auf die DVD stützen möchten.
Fazit:
Das von einzelnen Kolleginnen und Kollegen wenig geschätzte Medium des ‚Films‘ ist hier eindeutig als qualitative Aufwertung und bereichernder Bestandteil eines zielführenden Deutschunterrichts zu bewerten.
Jens F. HEIDERICH
(Lehrer für Deutsch, Französisch und Ethik am Frauenlob-Gymnasium Mainz und Dozent für Literatur- und Mediendidaktik des Deutschen an der Universität Trier)
Die Doppel-DVD der Reihe „deutsch interaktiv“ der Anne Roerkohl dokumentARfilm GmbH befasst sich in 170 Minuten mit den wichtigen literarischen Strömungen sowie deren bedeutendsten Autoren und Autorinnen der ersten dreieinhalb Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts (1910-1945).
Die erste DVD ist der filmischen, weitgehend chronologischen Dokumentation gewidmet, während die zweite Scheibe 63 Minuten inszenierte Lesungen und professionelle Gedichtrezitationen von über 40 Primärtexten sowie einen thematischen Längsschnitt beinhaltet. Zusätzlich gibt es einen DVD-ROM-Teil mit Materialien und didaktisch-methodischen Anregungen. Die Themen - Erster Weltkrieg, Gesellschaft zwischen Emanzipation und Krise, Reform, Kultur und Scheitern der Republik, Nationalsozialismus: Terror, Verfolgung und Exil, Holocaust und Zweiter Weltkrieg - dargestellt anhand von Originalaufnahmen, Fotomaterial und Experteninterviews, sind didaktisch geschickt aufbereitet, präzise auf das Wesentliche reduziert und können auch einzeln eingesetzt werden, um den Schülerinnen und Schülern bestimmte Einzelaspekte nahezubringen.
Aufbau & Inhalt
Der 27-minütige Hauptfilm – mit dem Titel „Leben in Extremen“ – gibt einen chronologischen Überblick des politischen, sozialen, intellektuellen, künstlerischen und literarischen Lebens vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg. In fünf weiteren 8-14-minütigen Modulen werden dann literarische Schwerpunkte mit folgenden Themenblöcken gesetzt:
- Lyrik des Expressionismus und Dadaismus
- Bertolt Brecht – Exilliteratur
- Franz Kafka – Die Verwandlung
- Alfred Döblin – Berlin Alexanderplatz
- Der literarische Markt
Kombinierbare Inhalte
Die Einzel-Module dienen der vertieften Betrachtung literarischer Aspekte; in sich abgeschlossen sind sie einzeln einsetz- und kombinierbar. Die Module sind jeweils in Unterkapitel gegliedert, die man über die Kapitelauswahl der DVD direkt ansteuern kann. Das Modul „Lyrik des Expressionismus und Dadaismus“ zum Beispiel ist untergliedert in die Themenbereiche „Jakob van Hoddis: Weltende“ „Zwischen Vitalität und Ohnmacht“, „Erster Weltkrieg“ und „Dadaismus“. So ist es auch hier in der Unterrichtspraxis möglich, ganz gezielt Einzelaspekte herauszugreifen und bei Bedarf frei mit anderen zu kombinieren.
Einzelaspekte
Die Filmbeiträge der Module liefern literaturgeschichtlich aktuelle Informationen und Interpretationen zu Autoren, Werken sowie zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen. Literaturexperten wie Bettina von Jagow (Universität München; u.a. Herausgeberin des Kafka Handbuchs), Edda Ziegler (Universität München, Dozentin für Neuere Deutsche Literatur und Buchwissenschaft) und Hermann Korte (Universität Siegen, u.a. Redakteur der Zeitschrift „Text und Kritik“) skizzieren präzise und gründlich die jeweiligen Themen. Ausschnitte aus inszenierten Lesungen aus den Primärtexten und zeitgenössisches Filmmaterial veranschaulichen die Inhalte.
Etwas näher betrachtet seien an dieser Stelle exemplarisch die Module „Alfred Döblin“ sowie „Der literarische Markt“.
In dem Modul zum Thema „Alfred Döblin“ steht Döblins Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ im Mittelpunkt. Anhand von Textausschnitten aus dem Werk, wichtigen interpretatorischen und literaturgeschichtlichen Hinweisen von Hermann Korte und zeitgenössischem Filmmaterial zum Berlin der 30er Jahre werden wesentliche Aspekte des komplexen Romans thematisiert und die Schülerinnen und Schüler erhalten einen guten Einblick, der letztlich auch zum eigenständigen Lesen anregt. Bei der Behandlung von „Berlin Alexanderplatz“ wird übrigens auch auf die Verfilmung mit Heinrich George von 1931 eingegangen. Ein Arbeitsblatt sowie Textauszüge aus Roman, Hörspielmanuskript und Drehbuch dienen der erweiterten Erschließung des filmischen Materials sowie der thematischen Vertiefung.
Das Modul „Der literarische Markt“ verdeutlicht die Situation und Probleme der Schriftsteller sowie der Verlage und des Buchhandels, wobei die Schülerinnen und Schüler hier unter anderem erfahren, dass man das Kulturgut Buch schon immer zu den durch die jeweils „modernen“ Medien gefährdeten Spezies zählte. Der Wandel des literarischen Marktes sowie des Rezeptionsverhaltens durch eine hohe Alphabetisierungsrate, verbilligte Herstellungstechniken, neue Formate (Fortsetzungsromane in Zeitungen, „Groschenhefte“, Volksausgaben), die Amerikanisierung des Buchmarktes und der Einsatz der Werbung – um nur einige Aspekte dieses Kapitels zu nennen – vermitteln den Schülern wichtige Einblicke in einen Bereich, der häufig im regulären rein Buch gestützten Unterricht etwas zu kurz kommt. Selbstverständlich wird in diesem Modul auch die nationalsozialistische Zäsur mit kultureller Gleichschaltung und Verflachung, Bücherverbrennung sowie die Exilliteratur (inneres und äußeres Exil) behandelt.
Szenische Lesung / Rezitationen / Längsschnitt
Unter der Rubrik „Impulse zur Literatur“ bietet die zweite DVD über 40 Primärtexte thematisch geordnet in professionellem Vortrag, ein „Bonus“-Material, dessen Wert gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, denn dadurch werden die Schüler in besonderer Weise mit den Texten konfrontiert und können schon beim Zuhören/-sehen emotional angesprochen werden. Eine derart gefühlte oder zumindest „erlebte“ Begegnung mit Literatur – so meinte der Rezensent – ist unbedingt wichtig, denn bei aller interpretatorischen und literaturhistorischen Auseinandersetzung mit literarischen Texten im Unterricht sollte doch nicht vergessen werden, dass Literatur immer Gefühle ansprechen und bewegen will. Durch dieses Bewegtwerden öffnet sich natürlich dann auch eine Tür zum echten Verstehen; dies kann anhand der Lesungen und Rezitationen zweifelsohne gelingen. Zusätzlich findet sich auf der DVD ein thematischer Längsschnitt zum Thema „Apokalypse“, der Texte von der Bibel (Offenbarung 16) über Grimmelshausen und Gryphius bis hin zu Grass und Marlen Haushofer enthält, in deren Mittelpunkt das Ende der Welt steht.
Didaktisches Begleitmaterial
Neben den Filmbeträgen gibt es einen gesonderten DVD-ROM-Teil mit einheitlich strukturierten didaktischen Begleitmaterialien, die den Schülerinnen und Schülern dazu dienen, das im Film erworbene Hintergrundwissen sowie das Textverständnis zu festigen und auf einer weiterführenden Ebene produkt-, teils problemorientiert zu vertiefen. Hilfreich – und nicht nur für den Inhalt der DVD zu gebrauchen – sind die drei enthaltenen Methodenkarten zu den Themen „Expressionismus“, „Reden analysieren“ und „Der Erzähler / Die Erzählerin“.
Fazit
Die hier vorgestellte Doppel-DVD/DVD-ROM ist ein für den modernen Deutsch-Unterricht uneingeschränkt empfehlenswertes Produkt, das didaktisch und methodisch gut durchdacht ist, inhaltlich umfangreiche Materialien und Informationen zum aktuellen literaturgeschichtlichen Forschungsstand bietet und dabei zugleich der Lehrkraft die Freiheit lässt, thematische Schwerpunkte zu setzen und Schülerinnen und Schüler in vielfältiger Weise an die Literatur der Moderne heranzuführen.
Informationen zum Autor
Stefan Schuch unterrichtet Deutsch, Geschichte und Sozialkunde am Chiemgau-Gymnasium in Traunstein.
http://www.lehrer-online.de/808943.php?sid=13167123897612539726148244824360 (14.12.2009)